«Alles, was wir Imame tun können, ist den wahren Islam zu lehren»

Nach den jüngsten Terroranschlägen in Paris führt die Spur einmal mehr nach Belgien. Imam
Mouhamed Galaye Ndiaye erklärt im Gespräch, warum die Rekrutierer von Dschihadisten einen Bogen um die Grosse Moschee in Brüssel machen und warum es nicht seine Aufgabe ist, mit der Polizei
zusammenzuarbeiten.

Auf die Frage, ob er Lust habe, vor dem Hintergrund der Anschläge in Paris ein paar Fragen zu beantworten,
sagt Ndiaye: «Lust nicht, aber es gehört zu meiner Aufgabe.» Der Imam lehrt am islamischen Kulturzentrum in Brüssel. Dort wird der Islam unterrichtet, finden Konferenzen und Kolloquien statt, werden Arabisch-Kurse angeboten und Ratschläge rund um Fragen des täglichen Lebens erteilt.

Angesichts der vielen Probleme mit jungen Männern, die nach Syrien reisen und sich dem IS anschliessen
wollen, konzentrierten sich die Imame des Zentrums derzeit mehr auf die Jungen, sagt Ndiaye. «Es geht uns
um das Zusammenleben hier in Belgien. Unsere Aufgabe besteht darin, ihnen den Islam zu erklären. Diesem
Grund gibt es uns ja überhaupt, im Herzen Europas».

Auf die Frage, ob sein Zentrum Kontakt habe zu den Personen, die Dschihadisten rekrutieren, sagt Ndiaye:
«Wenn wir sie kennen würden, würden wir sie anzeigen.» Das Zentrum habe keinerlei Kontakt zu diesen
Kreisen. Auch würden diese Personen nicht in die Grosse Moschee kommen. «Die kennen unsere Haltung.»
Ausserdem sähen sie in Leuten wir ihm «verkaufte Muslime.» «Sie denken, dass ich vom Islam keine Ahnung
habe und nicht für die Muslime arbeite, sondern gegen sie», sagt der Theologe, der an der Al-Azhar Universität in Kairo studiert hat, einer der höchsten Autoritäten des sunnitischen Islam.

«Wir sind keine Spitzel»

Es habe Fälle gegeben, in denen Eltern zusammen mit ihren Söhnen zu ihm gekommen seien. Die Eltern
machten sich Sorgen, weil ihr Sohn auf Facebook Kontakt zu Dschihadisten aufgenommen hatte. Die Polizei
informiert er in solchen Fällen nicht. «Schauen Sie, wir sind keine Spitzel», sagt Ndiaye. «Es gibt keinerlei
Zusammenarbeit mit der Polizei. Wir machen unsere Arbeit als Imame.»

Zu erkennen, ob von einer Person unmittelbare und echte Gefahr ausgehe, sei in einem Gespräch, das fünf
oder zehn Minuten dauere, ausserdem sehr schwer. Gefahr zu erkennen, sei der Job der Polizei. «Die
Polizisten kennen diese Leute besser als wir. Das einzige, was wir tun können, ist weiterhin täglich unsere
Arbeit zu machen», sagt der Imam. Alle islamistischen Attentäter, von denen man lese, seien der Polizei wegen Kleinkriminalität bereits bekannt gewesen, ruft Ndiaye in Erinnerung.

Kriminalität – aber «halal»

«Hier gibt es zahlreiche Einwanderer der dritten Generation. Sie sind hier geboren, sprechen fliessend
Französisch. Dann, weil sich ihre Eltern scheiden lassen oder wegen anderer sozialer Probleme, werden sie zu Kleinkriminellen. Und geraten irgendwann auf die einschlägigen Internetseiten, wo sie rekrutiert werden. Sie sind verletzlich und werden in Monster verwandelt.»

Man sage ihnen: «Du wirst weiterhin kriminell sein. Mit dem Unterschied, dass es diesmal ‹halal› sein wird,
also ‹im Einklang mit dem Islam›. Du wirst töten, aber Allah wird zufrieden sein mit dir. Danach kommst du ins Paradies. Dort erwarten dich die schönsten Frauen. Hier hast du nichts von alledem: keine schönen Frauen, du bist arm, hast keine Arbeit, gar nichts.»

Es ist noch nicht zu spät

Auf die Frage, weshalb das Problem der Radikalisierung in Belgien grösser ist als in anderen europäischen
Ländern, sagt der Imam: «Hier in Belgien glaube ich nicht, dass man von einer echten Zusammenarbeit
zwischen dem Staat und uns sprechen kann. Jedes Mal, wenn es ein Attentat gibt, kommen sie zu uns.
Fragen, ob wir die Taten verurteilen. Natürlich tun wir das.» Aber das seien bloss Worte.

Von der Regierung wünscht er sich, dass sie «hierher kommt und sieht, welche tägliche Arbeit wir leisten. Und schaut, was man verbessern könnte. Mit der Unterstützung des Staates könnten wir noch mehr machen.» «Es ist noch nicht zu spät, um zusammenzuarbeiten», fügt er versöhnlich hinzu.

Das «Centre Islamique et Culturel de Belgique» wurde 1963 in Brüssel gegründet und befindet sich im selben Gebäude wie die Grossen Moschee, im Jubelpark im Herzen der Stadt. Es steht auch Nicht-Muslimen offen. Das Zentrum hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, durch sein Ausbildungs- und Kulturprogramm die muslimische Jugend vor einer «Abweichung vom rechten Glauben zu bewahren». Auf seiner Webseite wird daran erinnern, dass der Islam «eine gemässigte Religion ist, die jede Form von Extremismus ausschliesst».