Heimat existiert nur in meinem Kopf

Zuhause fühle ich mich in Winterthur. Als ich vor drei Jahren in die WG einzog, in der ich jetzt lebe, dachte ich zuerst, die Nachbarn in unserem Wohnblock mögen keine Ausländer. Dann hat sich aber gezeigt, dass sie freundlich sind. Das Quartier ist sehr durchmischt, ich spüre dort eine positive Energie. Nebenan wohnt die Hauswartin, sie ist schon älter und hat vier Hunde. Sie hat uns schon oft geholfen, etwa die Heizung zu flicken oder die Vorhänge zu montieren.

Heimat ist für mich dort, wo ich lebe und wo ich mich wohl fühle. Wo ich eine Verbindung zu den Menschen um mich herum und zur Natur spüre. Auch die Erinnerung an einen schönen Ort aus der Vergangenheit ist für mich Heimat. In Maschhad, wo ich aufgewachsen bin, gibt es in der Nähe einen Berg. Von dort kann man über die ganze Stadt schauen. Ich erinnere mich daran, dass ich einmal dort war, und einen schönen Sonnenuntergang miterlebte. Das gab mir ein gutes Gefühl. Diese Erinnerung ist Teil von dem, was ich Heimat nenne.

Auch die Erinnerung an einen schönen Ort aus der Vergangenheit ist für mich Heimat.

Mahdi, 32, Ende November in Zürich

Die Stadt an sich zähle ich nicht mehr zu meiner Heimat, ich vermisse sie nicht. Auch wenn meine Eltern noch dort leben, im selben Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Der Alltag war gut dort, aber die Polizei und das politische System waren nicht gut. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, den Iran zu verlassen. Ich denke nicht viel über die Vergangenheit nach. Das bringt nichts. Ich bin gesund, und ich habe hier gute Menschen um mich herum. Das ist das einzige, was zählt. Eine alte Frau hat mich kürzlich gefragt, wo meine Heimat sei. Ich habe ihr geantwortet: Meine Heimat ist in meinem Kopf.

Mahdi wurde in Maschhad geboren, einer Drei-Millionen-Stadt im Nordosten Irans, nahe der Grenzen zu Turkmenistan und Afghanistan. Seine Familie gehört der ethnischen Minderheit der Khawari an. Mit 24 Jahren flüchtete er in Richtung Europa. Er blieb zunächst zwei Jahre in der türkischen Stadt Tokat, nicht weit vom Schwarzen Meer. Danach setzte er seine Flucht fort und kam 2016 in die Schweiz.

Dieses Porträt erschien erstmals im Magazin «Zwischentext«.