Dialog oder Zwang: Wie die Kantone zu Asylunterkünften kommen

Bei der Suche nach Asylunterkünften setzen die meisten Kantone zunächst auf den Dialog mit den Gemeinden. Leisten diese Widerstand, gehen die Kantone unterschiedlich vor: Einige bleiben hart, auch wenn sie bis vor Gericht müssen; andere geben nach oder verlangen Geld.

Die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich teilte Anfang Woche mit, dass künftig alle Gemeinden statt wie bisher fünf, neu sieben Asylsuchende pro 1000 Einwohner aufnehmen müssen. Der Kanton erhöht die Zuweisungsquote für die Gemeinden per 1. Januar 2016.

Damit reagiert er auf die Ankündigung des Bundes, er werde den Kantonen in den nächsten Wochen überdurchschnittlich viele Asylsuchende zuweisen. Für 2015 rechnet das Staatssekretariat für Migration (SEM) neu mit bis zu 34’000 Asylgesuchen – das sind deutlich mehr als im Vorjahr, als 23’765 Menschen in der Schweiz um Asyl ersuchten.

Bis vor Bundesgericht

Für die Unterbringung der ihnen nach Kontingenten zu geteilten Flüchtlinge sind die Kantone verantwortlich. Diese gehen in dieser Frage sehr un terschiedlich mit ihren Gemeinden um. Das Aufzwingen einer festen Quote wie in Zürich ist nicht in allen Kantonen Praxis.

Im Gegensatz zu Zürich kennt der Kanton Graubünden grundsätzlich keine individuellen Unterbringungen, sondern bringt Asylsuchende in kantonalen Kollektivzentren unter. Wenn der Kanton zu diesem Zweck eine Liegenschaft kaufen oder mieten will, prüft er die Angebote, die er von Privaten und Stiftungen erhält. Er bemüht sich dabei um eine aus gewogene Verteilung auf die Regionen und sucht nach Möglichkeit, den Dialog mit den Gemeinden, wie Marcel Suter, Vorsteher des Amts für Migration und Zivilrecht des Kantons Graubünden, auf Anfrage erklärte.

Die Schlussentscheide werden aber nicht zwingend im Einvernehmen mit diesen gefällt, wie der Streit mit der Gemeinde Laax gezeigt hat. Dort hielt der Kanton trotz des erbitterten Widerstands der Gemeinde an seinen Plänen zur Eröffnung eines Asylzentrums fest – und erhielt schliesslich vom Bundesgericht Recht.

Im Kanton Waadt ist die Logierung von Schutzsuchenden ebenfalls zentralisiert. Dort kümmert sich die kantonale Stelle für Flüchtlingsbetreuung (EVAM) um die Betreuung und Platzierung von Asylsuchenden. Sie hat die Möglichkeit, dazu Immobilien zu kaufen. Das EVAM sei darum bemüht, die Zentren gleichmässig auf die Regionen zu verteilen, und konzentriere sich bei der Standortsuche auf Orte, an denen noch keine Zentren stehen, sagte die Medienverantwortliche. Wenn irgendwo ein Gebäude günstig zu haben wäre, wo aber bereits ein Zentrum steht, werde auf einen Kauf verzichtet.

Zwang – oder nicht?

St. Gallen setzt bei der Zuweisung von Asylsuchenden auf die Gemeinden auf das Gespräch mit diesen, wie René Hungerbühler, stellvertretender Amtsleiter des kantonalen Migrationsamtes, auf Anfrage sagte. «Das hat bisher eigentlich immer geklappt.» Sollte sich eine Gemeinde weigern, die Aufnahmequote zu erfüllen, könne das kantonale Migrationsamt notfalls auf die Massnahme der Zwangszuweisung zurückgreifen – gestützt auf die kantonale Gesetzgebung. Dazu sei es aber seines Wissens noch nie gekommen.

Im Kanton Bern hat hingegen ein Umdenken stattgefunden. Nachdem der Kanton beim Versuch, grössere temporäre Unterkünfte zu schaffen, bei verschiedenen Gemeinden auf Widerstand stiess, nahm er die gegenüber fünf Gemeinden erlassenen Verfügungen zurück. Er wolle künftig «auf Zwang verzichten», kündigte der Kanton im September an, und sprach sich stattdessen für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Gemeinden aus. Im Gegenzug erwartet er von den Gemeinden, dass sie den Kanton bei der Suche unterstützen und Angebote zur Unterbringung von Asylsuchenden unterbreiten.

Andere kaufen sich frei

Der Kanton Aargau schliesslich kennt bei der Verteilung von Asylsuchenden eine Besonderheit: Dort müssen die Gemeinden eine Ersatzvornahme an den Kanton leisten, wenn sie vorläufig aufgenommene Personen nicht aufnehmen, obwohl sie es gemäss Verteilschlüssel müssten. Beträgt die Ersatzabgabe heute 10 Franken pro Person und Tag, liegt die Ersatzvornahme ab dem neuen Jahr bei 113 Franken. Das sei nicht misszuverstehen als Möglichkeit, sich von der Aufnahmepflicht freizukaufen, sagte Balz Bruder, Sprecher des Departements Gesundheit und Soziales des Kantons Aargau. Die Idee der Ersatzvornahme sei, dass jene Gemeinden, welche die Aufnahmepflicht nicht erfüllen, real entstehende Kosten ersetzen.

Ein Angebot, das etwa die Aargauer Gemeinde Oberwil-Lieli begrüsste. Ihr Gemeindeammann und neu auch Nationalrat Andreas Glarner (SVP) hatte für Schlagzeilen bis nach Deutschland gesorgt, als er im ARD-Morgenmagazin mit der Aussage zitiert wurde, seine Gemeinde zahle lieber, als Flüchtlinge aufzunehmen.

Dieser Text wurde am 05. 11. 2015 durch die SDA publiziert und erschien danach unter anderem im «Walliser Boten».